I. Wien Kindheit und Jugend
Renato Mordo wurde 1894 in Wien geboren. Beide Eltern waren Juden. Sein Vater Rodolfo Mordo war griechischer Abstammung und hatte seine griechische Staatsbürgerschaft behalten, die auf die Kinder übergegangen war. Als Kaufmann bereiste er den Mittelmeerraum und die Levante.
Renato studierte gegen den Willen des Vaters Schauspiel und Regie an der Wiener Akademie für Musik und Darstellende Kunst, wo er auch seine spätere Frau Trude Wessely kennenlernte. Einen Tag vor der Trauung am 17. Juni 1922 lies sich Mordo katholisch taufen. Der gemeinsame Sohn von Renato Mordo und Trude Wessely, Peter, kam 1923 in Oldenburg zur Welt.
II. Oldenburg und Darmstadt
Im Jahr 1920 übernahm Renato Mordo – als jüngster Theaterdirektor Deutschlands – die Leitung des Landestheater Oldenburg, dessen Profil er in den folgenden Jahren durch die Modernisierung des Spielplans nachhaltig prägte.
Nach kurzen Zwischenstationen in Breslau und Dresden wurde Mordo im 1928 von Carl Ebert als Oberspielleiter ans Hessische Landestheater Darmstadt verpflichtet. Während der Darmstadter Zeit arbeitete er unter anderem mit den Schauspielern Theo Lingen und Bernhard Minetti, dem Dichter Gerhart Hauptmann, den Dirigenten Karl Böhm und Hermann Scherchen und dem Bühnenbildner Lothar Schenck von Trapp zusammen. In Darmstadt entwickelte er einen stark stilisierten und abstrahierenden Stil und feierte damit als Opern- wie als Schauspielregisseur gleichermaßen große Erfolge.
Mordos Wirken in Oldenburg und Darmstadt wurde immer wieder überschattet von antisemitischen Anfeindungen. Angesichts der sich abzeichnenden nationalsozialistischen Machtübernahme entschloss sie die Familie im Herbst 1932 zur Emigration.
Die nationalsozialistische Herrschaft zerstörte und vertrieb die einzigartige Kultur aus den kurzen Jahren der Weimarer Republik. Diese war geprägt von modernen, zukunftsweisenden Strömungen, von Aufbruch und Neuorientierung in Kultur und Wissenschaft. Die Zahl der aus politischen oder rassistischen Gründen nach 1933 aus dem deutschen Herrschaftsbereich Vertriebenen beläuft sich auf etwa 500 000 Personen. Rund 360 000 davon stammten aus Deutschland, nach dem „Anschluss“ im Jahr 1938 kamen noch einmal ca. 140 000 aus Österreich dazu. Unter den Emigranten war fast die gesamte kulturelle Avantgarde der Schriftsteller und Künstler sowie Wissenschaftler aller Fachgebiete. Aus dem Hochschulbereich kamen etwa 2000 Emigranten, die Zahl der Vertreter aus Literatur, Publizistik und Presse beläuft sich auf etwa 2500, aus dem Rundfunk auf 600, Künstler aus dem Bereich Theater etwa 4000, aus der Fotografie etwa 200 und aus dem Tanz etwa 120. Nach Schätzungen haben weit über 10 000 Angehörige wissenschafllicher, publizistisch-literarischer und künstlerischer Berufe Deutschland verlassen. Zu den exilierten Künstlern und Wissenschaftlern zählten u.a. Theodor W. Adorno, Heinrich und Thomas Mann, Ernst Bloch, Arnold Schönberg, Albert Einstein, Bertolt Brecht, Anna Seghers, Walter Gropius, Oskar Kokoschka, Siegmund Freud, Lise Meitner, Billy Wilder, Max Beckmann und Hannah Arendt.
III. Prag Im Exil
1932 ging Renato Mordo als Oberspielleiter der Oper an das Neue Deutsche Theater in Prag. Trude Wessely wurde als Schauspielerin an das Haus engagiert. Mordo war parallel dazu an der Deutschen Akademie für Musik und Darstellende Kunst in Prag Dozent für Operndramaturgie und Regie. In Prag lernte er auch den Schriftsteller und Kafka-Herausgeber Max Brod kennen.
Stilistisch knüpfte er an seine Darmstädter Aufführungen an, scheute aber auch vor populären Formen wie der Revue nicht zurück. Neben den Klassikern der Oper inszenierte er auch zahlreiche Werke mit tschechischem bzw. österreichischem Lokalkolorit
Nach dem dem deutschen Einmarsch ins Sudetenland im Oktober beschloss die tschechoslowakische Regierung die Schließung des Deutschen Theaters. Die Familie Mordo verlor damit ihre Existenzgrundlage. Nachdem ein Versuch der Übersiedlung nach Amerika scheiterte, gelang der Familie schließlich die Ausreise nach Athen.
IV. Athen Im Exil
Die Familie Mordo traf am Ostermontag 1939 völlig mittellos in Athen ein. Renato Mordo wurde als leitender Regisseur an die neugegründete Griechische Staatsoper berufen. Zur Eröffnung wurde die Fledermaus von Johann Strauss aufgeführt, dirigiert von Walter Pfeffer, einem weiteren jüdischen Emigranten aus Wien. Die junge Maria Callas hatte in einer von Mordo inszenierten Aufführung des Boccaccio ihre erste Solorolle.
Für Trude Mordo boten sich aufgrund der Sprachbarriere keine Arbeitsmöglichkeiten.
Griechenland befand sich zum Zeitpunkt der Ankunft der Familie Mordo bereits seit drei Jahren in einer Diktatur unter Ioannis Metaxas. Sie war nach den Vorbildern Hitlers und Mussolinis geformt, mit einer Geheimpolizei und einer Jugendorganisation. Die Diktatur war stark antikommunistisch ausgerichtet, aufgrund von politischer Verfolgung wurden über 30 000 Menschen inhaftiert. Allerdings war Metaxas Diktatur ideologisch weit weniger ideologisch kohärent als seine Vorbilder, es gab es kein rassistisches oder antisemitisches Dogma.
Am 28.Oktober 1940 lehnte Griechenland ein Ultimatum Mussolinis ab, der Stationierung von italienischen Truppen zuzustimmen. Metaxas war, obwohl er selbst ein faschistisches Regime errichtet hatte, auf außenpolitische Neutralität bedacht. Die Griechen konnten die darauffolgenden italienischen Angriffe erfolgreich nach Albanien zurückzudrängen. Um dem Achsenpartner Italien zu Hilfe zu kommen und aus strategischen Überlegungen im Hinblick auf den bevorstehenden Angriff auf die Sowjetunion befahl Hitler am 6. April 1941 den Überfall auf Griechenland. Deutsche Truppen rückten in Griechenland ein, am 27. April hissten deutsche Soldaten auf der Akropolis die Reichskriegsflagge.
Das Deutsche Reich hatte keinen eigentlichen Plan für Griechenland, der Überfall war keine koordinierte Aktion der Achsenmächte. Es ging nicht um eine planmäßige Vernichtung von Menschen. Trotzdem sollte sich gerade in Griechenland die deutsche Besatzung zur brutalsten außerhalb Osteuropas entwickeln.
Nach der Kapitulation Italiens am 8. September 1943 fielen die besetzten Gebiete Deutschland zu. Hatte sich die Verfolgung von Juden zunächst auf den Norden des Landes konzentriert, waren nun auch die Athener Juden in höchster Gefahr.
SS und Gestapo errichteten im Land Konzentrationslager und Haft- und Folterstätten. Die genaue Zahl ist nicht bekannt, das Thema ist bis heute nur wenig wissenschaftlich aufgearbeitet. Eine dieser Folterstätten befand sich im Keller der Korai-Straße 4 mitten im Zentrum von Athen. Das größte Konzentrationslager lag im Athener Vorort Chaidari. Über dieses Lager verliefen zahlreiche Deportationen nach Auschwitz und Treblinka, wo fast 60000 griechische Juden ermordet wurden.
Am 7. Oktober 1943 erließ der SS- und Polizeiführer in Athen, dass sich alle Juden Athens innerhalb von fünf Tagen registrieren lassen müssten. Angesichts der Gefahr unternahm Renato Mordo Bemühungen, durch Untergrundorganisationen oder mit Hilfe des Athener Erzbischof Damaskinos eine Möglichkeit zur Flucht zu finden, die jedoch ergebnislos blieben. Nachdem er bereits mit einem Arbeitsverbot belegt worden war, wurde er im Frühsommer 1944 verhaftet und in das Konzentrationslager Chaidari gebracht. Die griechischen Partisanen hatten die Transportmöglichkeiten nach Norden zu diesem Zeitpunkt so weit gestört, dass keine Gefangenentransporte mehr stattfinden konnten. Mordo blieb in Chaidari und kam erst mit dem Abzug der deutschen Besatzer im September 1944 frei.
Seine Erfahrungen im KZ verarbeitete er nach seiner Freilassung in dem Theaterstück Chaidari, das heute als einzigartiges historisches Dokument gewertet werden kann.
Gegen die deutschen Besatzer hatten sich Widerstandsgruppen organisiert, die von der Bevölkerung und den Briten unterstützt wurden. Einheiten der Wehrmacht und der SS unternahmen oft willkürlich, teils unterstützt durch griechische Kollaborateure, brutale Vergeltungsmaßnahmen gegen Zivilisten, bei denen ganze Dörfer dem Erdboden gleichgemacht wurden. Mindestens 800 Dörfer fielen diesen Aktionen zum Opfer und wurden teilweise oder vollständig zerstört. Noch heute sind die Massaker in den Dörfern Kalavryta, Komneno und Distomo jedem Griechen ein Begriff.
Daneben plünderte die deutsche Besatzung das Land auch wirtschaftlich aus. Lebensmittel und Kleidung wurden von der Wehrmacht beschlagnahmt, kriegswirtschaftlich wichtige Güter und Devisenreserven geraubt. Hinzu kam eine extreme Inflation und die britische Seeblockade, die Athen von den so wichtigen Getreideimporten abschnitt. Als Folge verhungerten im Winter 1941/42 im Großraum Athen mindestens 30 000 Menschen, im gesamten Land nach Schätzungen bis zu 250 000.
Als die Kriegslage die deutschen Besatzer im Oktober 1944 zum Abzug aus Griechenland zwang, waren 80% der Eisenbahnstrecken und nahezu alle Eisenbahnbrücken zerstört sowie 73 % der Handelsflotte versenkt. Ca. 200000 Häuser waren zerstört oder stark beschädigt. Etwa ein Drittel der griechischen Bevölkerung war nach der Okkupation an Infektionskrankheiten, wie Malaria, Tuberkulose oder Typhus erkrankt, das Gesundheitssystem lag darnieder.
Die Besatzung ging in Griechenland direkt in eine Zeit des Bürgerkriegs über. Die deutschen Besatzer hatten durch ihre Zusammenarbeit mit den „Sicherheitsbataillonen“ der griechischen Kollaborationsregierung und gezielte Spaltpropaganda einen Keil in die griechische Bevölkerung getrieben, nun standen sich kollaborierende Kräfte und linksgerichtete Widerstandsorganisationen gegenüber. Die Situation eskalierte, als die unter britischem Schutz zurückgekehrte Exilregierung die Demobilisierung der Partisanen anordnete. Linksorientierte Kräfte kämpften in der Schlacht um Athen (bekannt als „Dekemvriana“) gegen promonarchistische Militär-und Ordnungstruppen, britische Truppen intervenierten zu ihren Gunsten. Die Kämpfe waren im Januar 1945 beendet, die Linke geschlagen. Es begannen Säuberungsaktionen gegen Linke und Kommunisten, Tausende kamen in Haft. Der Bürgerkrieg zog sich noch bis August 1949 hin.
Nach Kriegsende wurde Renato Mordo wieder als Oberspielleiter an die Griechische Staatsoper engagiert. Im Lauf der Zeit arbeitete er mit beinahe allen führenden griechischen Bühnenkünstlern der Zeit zusammen, darunter erneut Maria Callas, aber auch dem Schauspieler Dimiris Myrat oder der Revuedarstellerin Sophia Vembo.
Mordo war immer wieder von den Auswirkungen der polarisierten politischen Verhältnisse betroffen. Durch seine Haft in Chaidari wurde er verdächtigt, mit der äußersten Linken zu sympathisieren. Nachdem sein Vertrag aufgrund dessen nicht verlängert wurde, nahm er ein Angebot an, beim Aufbau der Türkischen Staatsoper in Ankara mitzuwirken.
V. Ankara
Atatürks Ziel war es, einen modernen, säkularen türkischen Staat zu schaffen. Nach Gründung der Republik 1923 brachte er mit der Republikanischen Volkspartei tiefgreifende Reformen auf den Weg, um das Land auf den gleichen Entwicklungsstand mit dem Westen zu bringen. Neben Umstrukturierungen in den Bereichen Gesellschaft, Politik, Recht und Bildung war das Ziel auch die Schaffung einer modernen türkischen Musik- und Theaterkultur. Kunst und Theater waren nunmehr öffentliche Dienstleistungen, die Eröffnung des Staatlichen Konservatoriums und des Staatstheaters in Ankara waren das Ergebnis dieser Initiativen.
Um die Modernisierung voranzutreiben, lud die türkische Regierung zahlreiche Experten und Berater aus Europa – in erster Linie aus Deutschland und Österreich – ein. Gerade nach 1933 wurde die Türkei damit zum rettenden Hafen für etwa 200 verfolgte jüdische und oppositionelle Wissenschaftler und ihre Familien. Sie fanden hier Zuflucht und Anstellung in einer Zeit, in der ihnen vielerorts selbst ein Visum verweigert wurde. In keinem anderen Land von vergleichbarer Größe gab es eine solch große Zahl von emigrierten Wissenschaftlern und Fachleuten an staatlichen Einrichtungen.
Renato Mordo löste 1947 Carl Ebert, mit dem er schon in Darmstadt zusammengearbeitet hatte, mit der Leitung der Staatsoper in Ankara ab. Neben Ebert waren bereits Paul Hindemith, Ernst Praetorius und der Mainzer Musikpädagoge und Dirigent Eduard Zuckmayer am Aufbau der Oper und des Konservatoriums beteiligt gewesen. Der Architekt Clemens Holzmeister entwarf nicht nur zahlreiche Ministeriengebäude in Ankara sondern gestaltete auch Bühnenbilder.
Mordo inszenierte an dem noch jungen Haus – oftmals in deutscher Erstaufführung – vor allem klassische italienische und französische Opern. Neben seiner Tätigkeit als Oberspielleiter an der Oper wirkte er auch als Dozent am Staatlichen Konservatorium und führte Gastspiele in Istanbul durch.
VI. Tel Aviv
Nachdem Mordo im Jahr 1951 wieder in Athen mehrfach Regie geführt hatte- folgte er im Frühsommer 1952 einer Einladung für einen sechsmonatiges Engagement an das israelische Nationaltheater in Tel Aviv, die Habimah. Die moderne, prosperierende Stadt, die freundliche Aufnahme und der Pioniergeist, der am Theater herrschte, beeindruckten Mordo nachhaltig. Er inszenierte hier mit großem Erfolg das Stück Der blaue Vogel von Maurice Maeterlink und Igor Strawinskys Die Geschichte vom Soldaten.
In Tel Aviv kam es auch zu einem Wiedersehen mit Max Brod, der Mordos Prager Inszenierungen als Theaterkritiker begleitet hatte. Er lebte bereits seit 1939 in Tel Aviv und gehörte selbst der Habimah als Dramaturg an.
VII. Mainz Die Remigration
Im Jahr 1952 erhielt Renato einen Ruf als Oberspielleiter nach Mainz, der ihm eine längerfristige künstlerische und wirtschaftliche Perspektive bot.
Arbeitsschwerpunkte bildeten Werke von Richard Wagner und Jacques Offenbar, daneben inszenierte Mordo auch Klassiker des Opernrepertoires, moderne Musiktheaterstücke und Operetten. Parallel gastierte er u.a. in Amsterdam, Basel und Köln.
Viele jüdische Emigranten, die aus dem Exil zurückkehrten, mussten die Erfahrung machen, dass sie in ihrer alten Heimat nicht immer willkommen waren. Die zugleich schuldbewusste und schuldabwehrende, teils immer noch antisemitisch eingestellte Bevölkerung nahm sie einerseits als Juden, andererseits als Remigranten war, die sich dem Leid und dem Grauen entzogen hatten, das die Daheimgebliebenen erlitten hatten. Insbesondere die Debatte um Entschädigung rief häufig heftige Reaktionen hervor. Dagegen wurden Freisprüche von Nationalsozialisten oftmals mit Wohlwollen gesehen. Als besonders problematisch stellten sich die personellen Kontinuitäten in Justiz und Verwaltung heraus. Die Ansprüche der NS-Opfer wurden so häufig heruntergespielt.
Überschattet wurde Renato Mordos letzter Lebensabschnitt durch die skandalöse, erstinstanzliche Ablehnung der von ihm, seiner Frau Trude und seinem Sohn Peter gestellten Anträge auf Entschädigung für das durch das NS-Regime erlittene Unrecht. Positive Bescheide für ihn sowie für Trude Mordo ergingen erst nach seinem Tod und im Zuge der Einlegung von Rechtsmitteln.
Renato Mordo verstarb nach kurzer, schwerer Krankheit am 5.November 1955 und wurde in Anwesenheit von Oberbürgermeister Stein sowie der Theaterleitung auf dem Mainzer Hauptfriedhof beigesetzt.
Trude Mordo war später als Schauspielerin u.a. in Göttingen engagiert. Peter Mordo arbeitete bereits seit seiner Rückkehr aus den USA im Jahr 1953 als Musikredakteur beim Süddeutschen Rundfunk.